ANGEKOMMEN?
Name: Abeer
Alter: 44
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2015
Erlernter Beruf/Studium: Jura-Studium
Aktueller Beruf: selbständige Café-Betreiberin
Ort & Datum: Kiel, 03.09.2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat bedeutet für mich Mutter. Ich fühle mich geborgen und sicher.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Irgendwann 2015/16 saß ich in der Bücherei in Kiel mit Deutschbüchern, weil ich die Sprache lernen wollte. Eine ältere Frau kam zu mir. Sie legte ihre Hand vorsichtig auf meine Schulter und fragte, ob ich Hilfe bräuchte. Das war Christa. Obwohl sie schon etwas älter war, ist sie dann einmal die Woche zu mir in den 4.Stock gekommen, um mir mit den Papieren für das Jobcenter zu helfen. Daraus ist eine Freundschaft entstanden.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Als ich meinen Laden eröffnen wollte, hat mir mein früherer Arbeitgeber, ein Restaurantbesitzer, sehr geholfen. Er hat von seinen Erfahrungen erzählt, wie man einen Laden aufmacht und führt. Er hat mir die Telefonnummern von Technikern und Malern gegeben, die mir helfen konnten.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Zuerst die Sprache. Ohne die Sprache kann man nicht in Deutschland leben. Ansonsten ist man wie ein Blinder und Gehörloser. Und Lernen. Man hört nie auf zu lernen.
Und Arbeit. Durch die Arbeit fühle ich mich stark. Erstens bin ich nie alleine und ich bin selbständig. Ich kann Entscheidungen für mein eigenes Leben treffen.
Ich muss immer auf mich selber vertrauen. Ich bin stark.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Deutschland bietet mir Chancen. Ich möchte arme Menschen in armen Ländern wie z.B. in Afrika unterstützen. Ich wünsche mir, dass ich einen noch größeren Laden haben kann. Das Geld möchte ich nicht für mich, sondern damit ich anderen helfen kann.
Ich kann den Deutschen lehren, an Arme und Hungrige zu denken und sie zu unterstützen.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Bei Terminen mit Deutschen bin ich pünktlich. Bei Terminen mit Arabern bin ich eher so „lala“.
Deutsche haben ein weißes, ein gutes Herz. Sie sind ehrlich und direkt, sie sagen was sie mögen und was nicht.
Typisch Syrisch ist, sie sind stark, möchten Arbeit und sie verlassen sich auf sich selbst. Sie sind stolz.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja. Wie eine Mutter bietet Deutschland mir Chancen, fragt „was brauchst du?“.
Deutschland bietet viel Hilfe für Asylsuchende, eine Lehre, ein Studium.
Die Mutter ist auch streng, aber sie sagt nur „nein“, weil sie dich liebt.
Die Mutter hat ein gutes Herz.
ANGEKOMMEN?
Name: Alaa
Alter: 27
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2015
Erlernter Beruf/ Studium: Mitarbeiter in der Gastronomie
Aktueller Beruf: Küchenmonteur
Datum: 7.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat lässt sich nicht mit Worten beschreiben.
Es sind Gefühle, wie Kindheitserinnerungen, Freunde, meine Lieben und Familie.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Einer der schönsten Momente, an die ich mich bisher erinnere, war, als meine Füße die Stadt München durchquerten. Die Stadt und die Menschen waren perfekt. In diesem Moment habe ich ein Gefühl des Sieges verspürt.
Besonders war auch, als ich in Deutschland entdeckt habe, dass ich Dinge erreichen kann, die ich in meinem Land wegen der Regierung und der Politik des Landes nicht erreichen kann,
Die Regierung des Landes, in dem ich gelebt habe, war Menschen gegenüber sehr unfair. Deshalb habe ich mich entschieden, ein neues Abenteuer in Deutschland zu unternehmen und bin alleine nach Deutschland gekommen.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Mir haben hier sehr viele Menschen geholfen, als ich neu war. Sie haben mir geholfen, meine Papiere zu ordnen oder mit der Regierung zu verhandeln.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Die Sprache ist der Schlüssel zu jedem neuen Land, das man besucht und in dem man lebt.
Aber mindestens genauso wichtig ist es, die Kultur des Landes kennenzulernen.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ich habe eine gute Arbeit, auch wenn sie nicht das ist, von was ich geträumt habe.
Ich habe davon geträumt im Büro zu arbeiten oder Geschäftsmann zu werden, aber ich hatte bis jetzt nicht die Gelegenheit.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja, ich fühle mich angekommen.
Am Anfang, wenn ein Mensch in einem fremden Land ist, kommen Schwierigkeiten auf ihn zu und er sieht sich vielen Problemen gegenüber. So bleiben uns einige Türen verschlossen, weil wir nicht ausreichend Qualifikationen und Zertifikate haben, um sie zu öffnen. Aber diese Probleme sind nur Steine auf dem Weg zum Erfolg und zum Erreichen von Zielen.
ANGEKOMMEN?
Name: Ali
Alter: 32
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2015
Studium: Medizin
Aktueller Beruf: Assistenzarzt für Innere Medizin
Ort & Datum: 11.09.2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat bedeutet für mich Sicherheit, Freiheit, Familiengefühl.
Am wichtigsten ist, dass ich keine Angst um meine Familie haben muss, wenn ich sie alleine zuhause lasse.
Und Heimat bedeutet für mich, dass ich keine Angst vor der Zukunft haben muss und meine beruflichen Ziele verfolgen kann.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Es gab verschiedene wichtige Momente, die ich hier in Deutschland erlebt habe.
Ein Moment war zuerst ein sehr negativer Moment, als ich 2017 abgeschoben werden sollte. Die Gemeinschaft, die Freunde und Bekannte aus Alveslohe, wo ich zu dem Zeitpunkt gewohnt habe, haben mich nicht alleine gelassen und mich emotional und mental unterstützt. Es war besonders, von Menschen unterstützt zu werden, die mich nur ungefähr seit einem Jahr kannten oder sogar weniger. Trotzdem haben sie sich alle Mühe gegeben, nach Möglichkeiten zu suchen, damit ich hierbleiben und ein besseres Leben anfangen konnte.
Der zweite sehr wichtig Moment war, als ich meine Berufserlaubnis erhalten habe. In diesem Moment waren alle Schwierigkeiten, alle schlechten Momente weg und ich habe verstanden, dass ich das erreicht habe, was ich mir die ganze Zeit erhofft hatte. Obwohl das nicht das Ziel war, sondern nur ein erster Schritt, wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin,
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Mich haben viele verschiedene Menschen in Deutschland unterstützt. Manchmal war es eine Beraterin oder ein Freund, mal waren es Deutsche, mal Araber, die schon länger in Deutschland sind. Ich bin dankbar, dass ich diese Menschen getroffen habe.
Und auch wenn es schwer war, habe ich immer versucht, positiv zu sein.
Eine besondere Hilfe war für mich zum Beispiel Karin, eine ältere Frau, die einen Schlaganfall gehabt hat und auf Hilfe angewiesen ist. Sie hat mir und meiner Frau, wenn sie mich für 2 oder 3 Wochen besucht hat, ein Zimmer in ihrem Haus zur Verfügung gestellt. Ich habe damals mit 7 anderen Flüchtlingen in einer Sozialwohnung mit vier Zimmern gewohnt und weiterer Besuch wäre dort nicht möglich gewesen. Als Dank haben meine Frau und ich Karin so weit wie möglich im Haus unterstützt. Wir haben sauber gemacht, gekocht und mit ihr zusammengesessen und viel geredet. Wir haben viel Deutsch gelernt und Karin war in dieser Zeit nicht allein.
Besonders wichtig war für mich auch der Pastor aus Penzlin in Mecklenburg-Vorpommern, als ich abgeschoben werden sollte und Kirchenasyl beantragt habe. Ich habe mich vorgestellt, meine Ausbildungspapiere und Zertifikate von den Sprachkursen eingereicht und erklärt, was ich in Deutschland gerne erreichen möchte. Er hat es dann der Gemeinde vorgetragen. Ich hatte mit keiner schnellen Antwort gerechnet, weil abgesprochen war, dass er sich in einer Woche bei mir meldet. Doch gleich am nächsten Tag hat er mich angerufen und mir gesagt, dass sie mich gerne unterstützen möchten und gefragt, was sie tun können. Ich habe von ihnen eine Gastwohnung und alles, was zum Leben notwendig war, bekommen. Aber noch wichtiger, die Gemeinde hat mich nicht allein gelassen. Zu Weihnachten und Sylvester bin ich von ihnen eingeladen worden, ich war immer dabei. Seit ich in Deutschland angekommen bin, habe ich auch immer versucht, andere zu unterstützen. Für andere Flüchtlinge habe ich besonders im medizinischen Bereich übersetzt. Anfangs auf Englisch und als ich die Sprache etwas besser konnte auch von Deutsch ins Arabische oder Russische.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Von meiner Seite aus ist die Sprache der wichtigste Punkt.
Der zweite Punkt ist die andere Kultur zu akzeptieren. Es gibt Menschen, die kommen in ein anderes Land, sind aber im Kopf und im Herzen noch immer in ihrem Heimatland. Und das passt nicht, denn die Menschen, die Kultur, die Gesetze sind etwas ganz anderes, das müssen die Menschen verstehen und mit der neuen Atmosphäre umgehen. Sonst funktioniert das nicht. Wenn ich als Student nur für mein Studium in einem anderen Land bin, dann weiß ich, dass ich nur für kurze Zeit in diesem Land bin und danach zurück in mein Heimatland gehe. Wenn ich aber in einem anderen Land bin, um ein neues Leben anzufangen, dann muss ich alles Neue akzeptieren. Es ist richtig, meine Kultur zu behalten, aber die neue ist genauso wichtig. Ich muss verstehen, wie die Menschen sind, mit denen ich jetzt lebe, ihre Kultur und ihre Sprache. Alles fängt mit der Sprache an.
Von Seiten des Landes braucht es Verständnis. Ich kann mich nicht total ändern. Ich kann kein Deutscher sein, wie jemand, der hier geboren ist. Ich habe den größten Respekt, ich kann alles akzeptieren, aber es braucht Zeit. Die Welt ist nicht nur Schwarz und Weiß, es gibt viele Farben dazwischen. Das habe ich mir von Deutschland erwartet und das habe ich hier auch gefunden.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ich kann der Gesellschaft als Arzt etwas zurückgeben.
Aber meine Familie und ich versuchen Deutschland auch etwas zurückgeben, weil wir so viel bekommen haben. Mir ist es wichtig, dass wir die Gesetze des Landes respektieren und, dass wir, meine Familie und ich, positive Menschen sind. Wir möchten hier keine Fremdkörper sein.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Früher war für mich Brot einfach nur Brot. In meiner Kultur haben wir ein Brot, das wir essen.
Hier gehen die Menschen gleich morgens in eine Bäckerei und genießen es, sich verschiedene Brote und Kuchen auszusuchen. Für mich war das am Anfang nicht so interessant und ich hätte nie gedacht, dass meine Frau und ich jetzt regelmäßig zum Bäcker gehen und neue Brote und Brötchen ausprobieren. Zur Arbeit nehme ich jetzt auch immer Brötchen mit. Das habe ich vorher nie gemacht.
Ich liebe weiterhin das syrische Essen und mache weiterhin viele Dinge, die ich in meiner Freizeit in Syrien gemacht habe, wie Playstation spielen und Fußball.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja. Das, was ich machen möchte, das kann ich hier machen.
Ich fühle mich hier nicht wie ein Fremdkörper. Ich darf hier alles, was ich aus meiner Kultur mitgebracht habe, wie auch zum Beispiel meine Religion, leben, wenn ich damit niemanden störe. Ich fühle mich als Teil der Gesellschaft. Deutschland ist multikulturell und im Vergleich zu anderen Ländern, die ich kennengelernt habe, gibt es hier in der deutschen, wie vorher in der syrischen Kultur, gute Möglichkeiten, mit verschiedenen Kulturen zusammenzuleben.
ANGEKOMMEN?
Name: Amal
Alter: 31
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2015
Beruf: selbstständige Laborantin
Aktueller Beruf: PTA (Pharmazeutisch-technische Assistentin)
Datum: September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist für mich zuhause. Wo ich mein Leben ohne Diskriminierung und in Sicherheit verbringen kann.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Ja, es gab für mich einen Schlüsselmoment, an dem ich in Deutschland das erste Mal gespürt habe, dass Deutschland meine zweite Heimat werden kann. Das war, als ich die Deutschen kennengelernt habe. Ich habe nicht gedacht, dass die Leute so nett und hilfsbereit sind.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Nein.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Um in einem fremden Land Fuß fassen zu können, muss man meiner Meinung nach die Sprache lernen, also die Muttersprache des Landes.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, da ich mich in Deutschland in kurzer Zeit sprachlich und beruflich weiterbilden konnte. Ich möchte der deutschen Gesellschaft das, was ich gelernt habe, in meinem Arbeitsleben weitergeben.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Als typisch deutsch: pünktlich zur Arbeit gehen, viele Unterlagen und Briefe weiterbearbeiten und pünktlich abgeben.
Als typisch syrisch: Ich kann sagen, dass das alles so geblieben ist, wie es vorher war (also der Alltag mit der Familie).
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja, das bedeutet für mich nicht nur die Sicherheit, sondern die Gelegenheit, meine Ziele erreichen zu können und die Herausforderungen des Lebens überwinden zu können.
ANGEKOMMEN?
Name: Farah
Alter: 38
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: Ende Oktober 2015
Erlernter und ausgeübter Beruf: Architektin
Aktueller Beruf: Architektin
Datum: 9.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat war vor dem Krieg für mich alles, was im Leben schön war: Träume, Schule, Kindheit, meine Oma, meine Familie, unsere Wohnung, unsere Nachbarn.
Seit 2011 war da nur noch Traurigkeit, Katastrophe und Krieg jeden Tag.
Heute bedeutet Heimat für mich Sicherheit und wenn die Kinder gut leben können.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Gleich am ersten Tag, als wir in Dersau angekommen sind und meine Kinder in einem warmen Bett, in Sicherheit und ohne Bomben geschlafen haben war ein Moment, in dem ich gespürt habe, dass wir hier eine Heimat finden können. Später, als meine Kinder dann in die Schule gegangen sind, das bedeutet für mich Heimat. Wir sind jetzt in einer Heimat.
Ein wichtiger Moment war für mich auch, als ich meine Arbeit in der Kreisverwaltung angefangen habe. Das bedeutete für mich, ich habe jetzt etwas Neues und ich bin jetzt da.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, Angelika. Sie ist die Deutschlehrerin in Dersau. Sie hat selber noch das Ende des Krieges erlebt und alles, was nach dem Krieg passiert ist: kein Essen, in die Schule nach Kiel gehen ohne Schuhe. Genau das, was wir in Syrien erlebt haben hat sie erlebt. Sie hat genau verstanden, wie es uns geht und in welcher Situation wir waren. Sie hat uns sehr, sehr unterstützt, mit Sprachkursen usw. Vom ersten Tag an hat sie uns gesagt, dass wir es in Deutschland schaffen können, weil wir fleißig sind. Obwohl sie bereits in Rente ist, arbeitet sie immer noch, sucht immer etwas Neues. Sie war und ist für uns ein Vorbild.
Aber eigentlich waren alle in Dersau freundlich zu uns. Wir haben in Dersau große Unterstützung von vielen Leuten bekommen. Wir haben immer noch Kontakt mit vielen Menschen dort.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Als erstes ist die Sprache notwendig. Außerdem ist es wichtig, die anderen Kulturen zu akzeptieren.
Und: wir müssen mutig sein. Gerade bei der Arbeit.
Man muss immer weitermachen und niemals aufhören, egal was passiert. Es klappt nicht immer alles beim ersten Mal, aber es wird.
Uns hat es geholfen, dass die deutsche Gesellschaft andere Kulturen akzeptiert. Es gibt andere Länder, da ist das nicht so. Egal welche Hautfarbe, welche Religion, die deutsche Kultur ist ähnlich wie unsere Kultur in Syrien. Wir waren in Syrien viele verschiedene Religionen, die zusammengelebt haben. Das hat es uns hier einfacher gemacht, weil es in dieser Hinsicht keinen großen Unterschied zwischen der deutschen und der syrischen Kultur gibt. Wir haben alle ohne Probleme miteinander gelebt. So empfinde ich es in Deutschland auch. Die Frau kann Kopftuch tragen oder nicht, jeder macht, was er will. In Syrien studieren viele Menschen. Wer nicht studiert, macht eine Ausbildung. Wir sind einfach fleißige Leute.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, und das kommt durch meine Arbeit. Ich zahle meine Steuern, für meine Rente, meine Versicherungen, meine Miete. Ich kann selber etwas für meine Kinder machen. Das bedeutet, dass ich Teil dieser Gesellschaft bin. Ich nehme kein Geld vom Staat, ich brauche keine Unterstützung von irgendjemand anderem. Das bedeutet, dass ich jetzt hier bin.
Ich habe viele, viele Freunde hier in Deutschland und wir haben zusammen schon viel gemacht. Ich habe drei Jahre lang einen syrischen Kochkurs bei der Volkshochschule gegeben. Im ersten Kochkurs konnte ich nur „ja“ und „nein“ sagen. Aber irgendwie haben sie mich verstanden. Wir haben zusammengesessen und zusammengegessen, geschnackt und ich habe jedes Rezept erklärt. Weil es so gut gelaufen ist, mache ich ab November weiter.
Ich habe auch sechs oder sieben Mal an deutsch-arabischen Lesefesten teilgenommen, wo eine Person eine Geschichte auf Deutsch vorliest und ich sie dann auf Arabisch vorgelesen habe. Wir haben das gemacht, um die zwei Kulturen zusammenzubringen und zu verbinden.
Mein Mann und ich haben auch einen Garten auf dem Stockseehof gestaltet. Wir haben ihn „Zuflucht“ genannt. Darin gab es einen Container, der für uns unseren ersten Tag in Deutschland beschreiben sollte. Auf einer Seite des Gartens gab es Orientalische Pflanzen, in der Mitte einen Brunnen und auf der rechten Seite haben wir deutsche Pflanzen gepflanzt.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
In unserem Alltag arbeiten wir lange, machen pünktlich Feierabend und haben das Wochenende frei. Das war auch schon in Syrien so. Aber wir kochen jetzt fast nur noch deutsches Essen. Am liebsten Lachs, Brokkoli und Kartoffeln. Oder Bratkartoffeln. Das syrische Essen braucht viel Zeit und ist viel ungesünder als das deutsche, weil wir z.B. viel Fett und viel Reis zum Fisch essen.
Abends, wenn die Kinder im Bett sind, sehen mein Mann und ich arabisches Fernsehen und trinken gemeinsam schwarzen Tee. Morgens gibt es dann aber statt syrischem Kaffee mit Kardamom immer Filterkaffee.
Unsere Sprache Zuhause ist ein Mix aus Arabisch und Deutsch.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja. Die Kinder sind in der Schule, mein Mann und ich haben beide unsere Jobs, wir haben eine schöne Wohnung gemietet, wir bezahlen unsere Steuern, Rente, … das bedeutet, dass wir hier sind, hier geblieben sind.
ANGEKOMMEN?
Name: Hazem
Alter: 29
in Deutschland/Schleswig-Holstein seit: September 2015
Studium: 4 Semester BWL in Latakia/Syrien
aktueller Beruf: Student Energiewissenschaften spez. Regenerative Energietechnik (RET) & Verkäufer
Datum: 3.September 2021
MOIN! Ich bin Hazem, ich wohne, ich sag mal, in einem Dorf am Mors der Heide.
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heute ist die Bedeutung anders.
Früher war Heimat ein Ort, an dem ich geboren bin, wo Familie und Freunde sind.
Heute ist Heimat, wo die Menschen sind, bei denen ich mich sicher fühle, also wo ich mich wohl fühle.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Ja, diesen Schlüsselmoment gab es für mich.
Ich wollte aus meiner Flüchtlings-WG ausziehen. Ich habe Maxi, meine freiwillige Flüchtlingsbetreuerin gefragt, was ich machen kann, um eine andere Wohnung, ein anderes Zimmer zu finden. Ich war planlos und verzweifelt, weil ich gerne in der Umgebung bleiben wollte. An einem Tag kam sie uns wieder besuchen, um uns mit Papierkram zu helfen. Ich habe zwischen den anderen Bewohnern und Maxi von Arabisch auf Englisch übersetzt. Und dann sagte sie, sie habe mit ihrer Familie gesprochen und sie hätten ein Zimmer für mich.
Dieser Moment hat alles für mich in meinem Leben in Deutschland verändert.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, Maxi! Manchmal nenne ich Maxi auch „Muddi“. Maxi und ihre Familie sind für mich der Sechser im Lotto.
Maxi hat von mir gelernt, wie grausam Syrien ist.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Sprache ist ganz, ganz, ganz wichtig für die neuen Bewohner*innen.
Als ich noch keinen Deutschkurs besuchen durfte, habe ich den Deutsch-Unterricht bei Erika besucht, sie ist eine ehrenamtliche Lehrerin. Dieser Kontakt war besonders wichtig für uns. Danach konnte ich via YouTube weiter lernen, den Integrationskurs absolvieren und an der Uni im ProRef den C1-Kurs abschließen.
Und es ist wichtig keine Vorurteile zu haben.
Ich finde es außerdem sehr wichtig freundlich zu sein.
Deutschland ist ein Papierland mit komplizierter, bürokratischer Sprache. In Dänemark z.B. wird alles Online gemacht. Das finde ich besser, weil es unbürokratischer und mit weniger Hürden verbunden ist.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, es tut mir gut, anderen zu helfen, etwas Gutes zu tun, der Gesellschaft zu helfen.
Auch Maxi habe ich immer wieder gefragt, wo ich helfen kann.
Ab September 2016 habe ich meinen Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) für ein Jahr in einem Förderzentrum für geistig behinderte Kinder in Süderbrarup gemacht. Es war ein tolles Jahr: ich konnte den Kindern helfen und die Kinder haben mir geholfen und mir Deutsch beigebracht.
Und ich arbeite seit meiner Ankunft in Deutschland für das Amt Geltinger Bucht als Flüchtlingsbegleiter.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Typisch deutsch an mir finde ich, dass ich viel Wasser und Kaffee trinke und das Spazierengehen.
Typisch syrisch ist das Shisha-Rauchen, Kartenspielen und lautes Diskutieren.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Aber voll! Und wie!
Ich habe das Gefühl, es gibt keinen Unterschied zwischen mir und Dir. Ich fühle mich als Deutscher.
ANGEKOMMEN?
Name: Khaled
Alter: 25
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2016
Erlernter Beruf/ Studium: Abitur
Aktueller Beruf: Verwaltungsfachangestellter
Datum: 6.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, dort, wo meine Familie ist. Ich habe nur eine Familie und Familie kann nicht ersetzt werden.
Heimat ist da, wo ich niemandem beweisen muss, dass ich dazugehöre. Ich gehöre selbstverständlich dazu. Ich muss nicht ständig darüber nachdenken, was und wie ich etwas mache.
Jetzt ist Heimat für mich auch Deutschland.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Mir wurde in Deutschland immer wieder die Möglichkeit gegeben, zu beweisen, dass ich es schaffen kann. Wichtige Momente für mich waren, als ich die Sprache gelernt habe, als ich mit Menschen sprechen konnte, als ich in der Lage war, mich auszudrücken. Wenn man die Sprache kann, dann kann man mit anderen Menschen ins Gespräch kommen. Denn es ist auch für die Deutschen anstrengend, wenn sie mich nicht verstehen können.
Als ich die Zusage für meinen Ausbildungsplatz bekommen habe, habe ich mich sehr gefreut. Und als ich die Ausbildungsprüfung bestanden habe, wusste ich, dass das viele Lernen nicht umsonst war und, dass wenn ich mich bemühe, ich es schaffen kann.
Besonders wichtige Momente waren und sind, wenn ich spüre, dass ich akzeptiert werde.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Für jede Phase gab es unterschiedliche Menschen, die mir geholfen haben. Bis heute bin ich auf Hilfe angewiesen, nicht mehr so sehr, wie am Anfang, aber für mich ist nichts selbstverständlich. Alles ist ein Nehmen und Geben.
Dorothea zum Beispiel hat mir und anderen syrischen Flüchtlingen geholfen. Sie hat es gemacht, weil sie ein guter Mensch ist und nicht, weil sie es musste. Als ich hörte, dass sie einen Garten hat, habe ich ihr meine Hilfe angeboten. Ich wollte mich bedanken, für alles, was sie für mich getan hat. Ich habe es sehr geschätzt. Und mir ist wichtig, dass sie sieht, da kommt etwas zurück, dass es eine gegenseitige Wertschätzung gibt.
Oder Bianca. Sie ist für meine Ausbildung sehr wichtig gewesen. Sie hat in mir etwas gesehen und mich immer unterstützt. Und meine besten Freunde Dominik und Florian, mit denen ich viel Zeit verbringe und an die ich mich immer wenden kann, wenn ich nicht weiterkomme. Dominik sagt über mich, dass ich ein Macher sei. Von mir haben sie vielleicht auch gelernt, dass man mit wenig glücklich und zufrieden sein kann.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Sprache ist der Schlüssel zur Integration, weil man durch die Sprache soziale Kontakte knüpfen kann und nicht auf andere angewiesen ist.
Außerdem muss man die deutsche Kultur kennenlernen, um zu wissen, worauf die Menschen Wert legen, damit Konflikte vermieden werden können. Ich finde es wichtig, dem Land und seinen Menschen respektvoll zu begegnen und immer mit einem Lächeln auf die Menschen zuzugehen.
Von Seiten des Landes wünsche ich mir, dass niemand aufgrund seines Aussehens, seiner Herkunft oder seiner Religion verurteilt wird. Jeder hat eine Chance verdient.
Es sollte nicht über Menschen, sondern mit Menschen geredet werden.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Mein Motto ist „ohne Fleiß kein Preis“. Jeder hat die Möglichkeit, sich in der Gesellschaft einzubringen. Auch ich habe mein Herz geöffnet und bin jetzt Teil der Gesellschaft. Ein arabisches Sprichwort besagt: „Die Türen stehen offen, man muss nur klopfen.“
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Typisch deutsch ist in meinem Alltag, dass ich meinen Tag plane und strukturiere. Ich weiß morgens schon, wo ich am Nachmittag bin und was ich mache.
Die syrischen Menschen sind sehr entspannt, was Termine angeht. Sie geben alles für den Moment.
Ich weiß es zu schätzen, dass ich mich auf vieles in Deutschland verlassen kann, aber ich empfinde das Spontane auch als etwas sehr Schönes. Wenn ich viele Termine habe, kann ich mich manchmal gar nicht auf den einen konzentrieren, sondern bin in Gedanken schon beim nächsten. Wenn nicht alles durchgeplant ist und etwas Unerwartetes passiert, ist es manchmal schöner.
Deutsche Menschen sind direkter als syrische. Wenn Deutschen Menschen etwas zu essen angeboten wird und sie „nein“ sagen, meinen sie das auch so. In Syrien heißt ein „Nein“ nicht unbedingt „nein“. Es wird zwei-, drei- oder viermal nachgefragt und dann erst sagt man „okay“. Als ich Freunden in Deutschland früher etwas angeboten habe und sie mit „nein, danke“ geantwortet haben, habe ich weiter und weitergefragt. Bis sie schließlich sauer wurden und sagten: „Ich habe doch nein gesagt.“ Ich habe mich erschrocken und nicht verstanden, was ich falsch gemacht habe. Heute weiß ich um die kulturellen Unterschiede und die möglichen Missverständnisse.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja, auf jeden Fall. Ich fühle mich angekommen, weil ich eine Aufgabe habe, weil ich arbeite. Angekommen sein bedeutet für mich auch, dass ich Fußball im Verein spiele, was mir unheimlich viel Spaß macht und dass ich meine Freizeit mit meinen deutschen Freunden verbringe. Ich bin nicht allein und ich bin unabhängig.
Und ich fühle mich auch angekommen, weil ich bin in der Lage bin, zum Ausdruck zu bringen, was ich denke.
ANGEKOMMEN?
Name: Khaled
Alter: 34
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2015
Erlernter Beruf/ Studium: Studium Religionswissenschaften und Englische Literatur
Aktueller Beruf: Lehrer
Datum: 28.August 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist der Ort, an dem man lebt, wo man zuhause ist. Heimat ist für Menschen etwas Schönes, wo sie aufgewachsen sind.
Für mich persönlich ist Heimat, wo ich mich wohlfühlen kann und keine Angst haben muss, woran ich glaube und welche sexuelle Orientierung ich habe.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Ja, es gab ganz viele Momente, wo ich sagte, schade, dass ich nicht hier geboren bin und zwar deshalb, weil ich meine politische Meinung und woran ich glaube laut sagen kann, ohne bestraft oder verfolgt zu werden.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, meine jetzige Lebensgefährtin. Durch sie ist mir klar geworden, wie die Menschen hier ticken, wie sie denken, worauf ich achten muss und wie ich beruflich weiterkomme.
Sie hat von mir gelernt, wie die Menschen aus meiner Kultur ticken und denken.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Um in einem fremden Land Fuß fassen zu können, muss man Geduld haben und offen sein, damit es keine Missverständnisse gibt. Ich glaube als neuer Bewohner sollte ich mehr Rücksicht nehmen auf die Leute, bei denen ich als Gast aufgenommen bin und von denen ich respektiert werde.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, klar. Ich lehre Menschen aus verschiedenen Ländern, ich betreue auch Kinder aus verschiedenen Ländern. Ich werde alles geben, was ich geben kann, um den Konflikt und den Rassismus von beiden Seiten zu vermeiden bzw. zu bekämpfen.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Typisch deutsch: jammern, beklagen, null Ahnung über die anderen Kulturen.
Typisch syrisch: unpünktlich, aber fleißig, wenn es ums Geld geht. Den anderen Kulturen gegenüber offen sein.
Die beiden Kulturen überschneiden sich in kollegialen und familiären Beziehungen.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ich fühle mich tatsächlich angekommen und das habe ich meiner Freundin zu verdanken. Für mich bedeutet angekommen zu sein, dass ich Deutsch denke und träume und bei viel Arbeit jammere.
ANGEKOMMEN?
Name: Khansaa
Alter: 43
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2018
Ausgeübter Beruf/ Studium: Anwältin / Jura
Aktueller Beruf: Altenpflegeheferin
Datum: 2.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Sicherheit
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Bei unserer Ankunft in einem der behelfsmäßigen Flüchtlingslager in Hamburg. Am nächsten Morgen vor sieben Uhr morgens weckte uns einer der Mitarbeiter dort mit Musik und sagte laut: „Guten Moooorgen“. Das war wirklich schön und wir erinnern uns mit so viel Liebe bis heute daran. Er hat es mit so viel Freundlichkeit gesagt und wir haben gefühlt, dass wir in Deutschland willkommen sind.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, Vivianne und andere DRK-Mitarbeiter in Boostedt, Florian, Yulia und Rebekka haben uns bei unseren ersten Schritten im Camp in Boostedt und auch nach unserer Abreise geholfen. Vivianne hat mir geholfen, meinen jetzigen Job zu bekommen, weil sie davon überzeugt war, ich könnte in diesem Bereich erfolgreich sein. Und Haci muss ich auch nennen, weil er so viel für uns getan hat.
Zudem Herr Lau, Herr Grulke und Matthias in unserem Dorf Sankt Margarethen. Ich kann nicht sagen, was sie mir beigebracht haben, aber ich kann sagen, dass sie mir ein Gefühl der Sicherheit geben, gute Menschen wie sie zu haben.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Auf Seiten des Landes bieten sie die Möglichkeit, die Sprache zu lernen, einen Job zu finden. Und das Wichtigste ist, dass die Gemeinschaft (Gesellschaft) unsere Anwesenheit bei ihnen akzeptiert.
Von unserer Seite als Flüchtlinge ist die Integration in die Gesellschaft wichtig: durch das Lernen der Sprache, durch Arbeitssuche und durch die Einhaltung der Gesetzte des Landes.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Die älteren Menschen bei meiner Arbeit fühlen sich sehr einsam und ihre Bewegungen sind langsam. Unsere Aufgabe ist es, sie physisch und innerhalb der vorgegebenen Zeit zu pflegen. Während dieser Zeit versuche ich ruhig mit ihnen umzugehen und ihnen Nähe zu geben, damit sie das Gefühl haben, dass wir sie lieben und uns um sie kümmern und nicht nur eine Arbeit machen. Dies hilft ihnen, sich beruhigt zu fühlen. Und ihr süßes Lächeln, wenn sie sich bedanken, macht mich glücklich.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Engagement für die Arbeit , neben Freude an der täglichen Arbeit.
Die Deutsche Gesellschaft ist mir nicht fremd und ich fühle sie als Teil von mir.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Noch nicht, denn uns droht die Abschiebung in ein anderes Land. Ich brauche eine rechtliche Anerkennung, dass ich in Deutschland bleiben darf und mein Leben ohne Angst normal fortsetzen kann.
ANGEKOMMEN?
Name: Mo
Alter: 42
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: Oktober 2015
Erlernter Beruf/ Studium: Ingenieur
Aktueller Beruf: Fach-Elektriker
Datum: 9.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist für mich da, wo ich meine Würde finde. In Deutschland bin ich jetzt mehr akzeptiert, als in Syrien, weil ich als Mensch und nicht als Nummer behandelt werde. Unter der Diktatur sind wir keine Menschen mehr. Vor dem Krieg habe ich drei Jahre in Armenien studiert und hatte jeden Tag Heimweh nach Syrien. Seit fünf/sechs Jahren habe ich kein Heimweh mehr. Im Gegenteil, ich habe Angst davor, wenn ich nach Syrien zurückgehen müsste.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Der Tag, an dem ich meine erste Chefin in Deutschland getroffen habe, war ein sehr wichtiger Moment für mich. Die Menschen im Dorf hatten mir gesagt, dass sie das Hotel führt. Als ich sie durch Zufall auf der Straße getroffen habe, habe ich sie spontan auf Englisch gefragt, ob sie Hilfe im Hotel braucht. Ich hatte mit keiner positiven Antwort gerechnet. Sie hat mich gefragt, was ich in Syrien gemacht habe und ich habe ihr gesagt, dass ich Abteilungsleiter in einer Behörde in Syrien war. Sie antwortete mir, dass sie nur Hilfe bei der Reinigung braucht und fragte, ob ich das machen würde. Ich sagte „ja“ und sie lud mich für den nächsten Tag ins Hotel ein. Ich habe dann vier Jahre lang in ihrem Hotel in den verschiedensten Bereichen gearbeitet.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Meine Familie und ich haben viel Hilfe von den Bewohnern unseres Dorfes bekommen.
Veronika und Wolfgang haben uns zum Beispiel drei Jahre und länger, bis wir ausreichend Deutsch konnten, mit den deutschen Briefen und vielen anderen Dingen geholfen. Sie haben uns erklärt, wie man einen Termin beim Arzt macht und uns zum Arzt gefahren. Weil wir die Sprache nicht konnten, waren wir am Anfang wie Kinder. Obwohl wir Englisch gesprochen haben. Wir waren wie blind. Wir brauchten Hilfe, wie wir in die nächste Stadt kommen. Das erste Mal, als ich nach Plön fahren wollte, habe ich drei Stunden an der Bushaltestelle gewartet, bis ein Bus kam. Später hat mir jemand erklärt, dass es einen Plan gibt, von dem man die Abfahrtszeiten ablesen kann. In Syrien fuhren die Busse ohne Plan alle halbe Stunde.
Angelika war sehr schlau: als wir und andere Flüchtlinge erst zwei Wochen im Dorf waren, hat sie alle Dorfbewohner eingeladen und uns, die Flüchtlinge, gefragt, was wir besonders gut können. Einer der Männer zum Beispiel stellt traditionelles Holz-Handwerk her, ein anderer ist Kunstmaler, meine Frau kann besonders gut kochen. Wir hatten einen Monat für die Vorbereitungen Zeit. Und dann haben wir alle zusammengesessen und syrisches und afghanisches Essen gegessen und geschnackt. Wir haben uns und unsere Kulturen vorgestellt und uns alle kennengelernt. Das Gemeindehaus von Dersau war voll, es gab keinen Platz mehr und fast alle Dorfbewohner waren da.
Danach, wenn wir uns auf der Straße getroffen haben, haben wir uns miteinander unterhalten und wenn jemand Hilfe benötigte, uns gegenseitig geholfen. Eine Hand wäscht die andere.
Danke kann man sagen, aber „Danke“ ist auch ein Verb.
Als Angelika später einmal im Krankenhaus lag und ich sie besuchte, habe ich ihr gesagt, sie sollte nicht aufgeben und weitermachen, so wie sie es uns beigebracht hat. Da sagte sie, dass sie von uns gelernt habe, niemals aufzugeben.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Sprache ist der Schlüssel, um in einem Land Fuß fassen zu können. Man muss die Möglichkeit haben, mit Menschen zu sprechen. Und eine Arbeit zu finden und zu haben ist sehr wichtig. Ich war in Syrien niemals arbeitslos. Ich habe schon mit sieben Jahren meinem Opa, der Großhändler war, jeden Sommer geholfen.
Die Unterstützung von den Leuten aus Dersau war wichtig, damit meine Frau und ich Arbeit finden konnten. Meinen heutigen Job als Elektriker habe ich durch eine Frau aus dem Dorf bekommen.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ich fühle mich total zugehörig. Auch wenn ich aus einem anderen Land gekommen bin, ich bringe etwas mit. Ich lerne von Dir, Du lernst von mir und wir können dadurch beide besser werden.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Ich finde bei Euch Deutschen toll, dass ihr ganz ehrlich antwortet. Wenn ich einen Syrer frage, ob er hungrig ist, sagt er nein, auch wenn er hungrig ist.
Bei Euch weiß ich, dass ihr direkt seid und ehrlich antwortet. Die Araber sind sehr gastfreundlich. Wenn ein Araber einen Gast hat, dann kocht er sofort, viel, viel zu viel. Jedes Haus hat einen Gastraum, indem die besten Möbel des Hauses stehen und der immer sauber ist, bereit für Gäste. Gastfreundschaft geht sogar vor Arbeit. Wenn mich ein Nachbar oder Freund spontan besucht, obwohl ich gerade auf dem Weg zur Arbeit bin, dann bitte ich ihn herein und trinke mit ihm Kaffee. Selbst wenn er fragt, ob ich etwas anderes vorhabe, sage ich nein. Jetzt, hier in Deutschland, würde ich mich fühlen, als wenn ich lüge, wenn ich nicht sagen würde, dass ich keine Zeit habe.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ich fühle mich in Deutschland angekommen.
Mein ganzes Leben ist hier, meine Familie, meine Arbeit und viele Bekannte.
Als wir Hilfe gebraucht haben, hat Deutschland uns geschützt. Das haben die arabischen Länder leider nicht gemacht.
ANGEKOMMEN?
Name: Mohammad
Alter: 34
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: September 2014
Erlernter Beruf/ Studium: Pharmazie (Damaskus), Apotheker
Aktueller Beruf: Apotheker
Datum: 11.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist nur ein Wort. Hinter diesem Wort stehen viele verschiedene Bedeutungen. Wenn man Heimat mit dem Ort, an dem man geboren ist, verbindet, dann bedeutet das Kindheit, Familie, Freunde.
Wenn man mit dem Wort aber auch Schlechtes verbindet, wie Menschen, die das Land zerstört haben und uns gezwungen haben, dieses Land zu verlassen, dann kann man auf das Wort Heimat auch verzichten. Dann verbindet man mit dem Wort sehr schlechte Gedanken, die man nie erleben möchte. Wir mussten erkennen, dass Syrien nicht mehr unser Land ist, obwohl wir dort geboren sind. Die Menschen, die das Land jetzt beherrschen, haben das Land für uns wertlos gemacht.
Vielleicht würde ich auch sagen, dass Deutschland mein Land ist, aber viele akzeptieren das nicht. Am Ende bin ich Syrer. Ich habe den deutschen Pass, aber ich bin nicht Deutscher, ich bin Syrer-Deutscher.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Nach sieben Jahren in Deutschland hatte ich die Möglichkeit, meine Eltern im Ausland wieder treffen zu können. Das war das erste Treffen für meine Kinder mit ihren Großeltern. Am Flughafen habe ich das erste Mal gespürt, dass Deutschland meine zweite Heimat werden kann, da ich keine Angst hatte, mein Zuhause zu verlassen und meine Freunde nicht wieder zu treffen.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Es gibt kein zufälliges Treffen. Jeder Mensch in unserem Leben ist entweder ein Test, eine Strafe oder ein Geschenk.
Ein Geschenk war für mich die Apothekerin, die mich sehr unterstützt und begleitet hat, Frau Varga. Ich habe den Kontakt durch eine Frau von der Caritas bekommen. Ich war auf der Suche nach einem Praktikum als Apotheker. Tatsächlich konnte ich bei Frau Varga fast 6 Monate lang ein Praktikum machen. Sie hat mir sehr geholfen. Ich werde ihre Hilfe nie vergessen. Sie war mit mir sehr streng, aber genau das hat mir weitergeholfen. Ich bin bereit viel zu geben, um mein Ziel zu erreichen.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Die Sprache und viele Kontakte sind wichtig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können. Wir sind alle unterschiedlich. Und die kulturellen Unterschiede kann man erst richtig erkennen, wenn man die Sprache gut beherrscht. Erst dann kann man die andere Kultur richtig kennenlernen und verstehen.
Man muss offen sein. In Syrien gab es gefühlt nur einen Weg, hier kann man mehrere Wege gehen.
Zum Beispiel bei der Religion: wir können auch zusammenleben, wenn wir nicht denselben Glauben haben. Aber wir brauchen auch die Offenheit der Deutschen Gesellschaft, damit wir alle in Freiheit zusammenleben können. Sicherlich ist es für die deutsche Gesellschaft nicht einfach gewesen, dass auf einmal viele von uns in ihr Land gekommen sind und alles anders und neu war. Das können wir verstehen. Wir haben ein Sprichwort, das sagt, dass kein Finger an einer Hand dem anderen gleicht. Das heißt soviel wie: jeder Mensch ist unterschiedlich. Ich kann und werde niemanden zwingen, mich zu akzeptieren.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
In meinem Beruf als Apotheker kann ich der Gesellschaft etwas zurückgeben und ich möchte mich gerne noch mehr in diesem Land einbringen und das geben, was das Land braucht.
Wir sind sehr dankbar, dass Deutschland uns so viel gegeben hat. Als wir Hilfe gebraucht haben, war nur Deutschland für uns da.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Die Pünktlichkeit und die Bürokratie sind für uns etwas typisch deutsches, wie auch die Mülltrennung, die wir hier kennengelernt haben. Im Vergleich, in Syrien kommt alles in einen Container.
Kartoffelsalat und Kartoffelsuppe sind für uns typisch deutsche Gerichte.
Etwas typisch Syrisches ist, dass man für Geschenke viel Geld ausgibt. Hier in Deutschland freuen sich die Menschen auch über Kleinigkeiten. Außerdem ist es in Syrien sehr bekannt, dass wir etwas Essen an die Nachbarn geben, besonders im Ramadan.
Überschneidungen gibt es bei uns bei der Sprache. In unserer erweiterten Familie sprechen die Kinder zum Beispiel auf Deutsch, wenn sie nicht wollen, dass die älteren Erwachsenen sie verstehen, deren Deutsch nicht ganz so gut ist.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Manchmal ja, manchmal nein.
In Momenten, wo ich mich respektiert fühle, fühle ich mich willkommen und angekommen.
Wir sind seit 7 Jahren in Deutschland und haben schon viel erlebt. Wir akzeptieren alles, ob gut oder schlecht. Doch leider gibt es auch die Momente, in denen ich mich nicht anerkannt und respektiert fühle.
Dabei empfinde ich es als etwas Gutes, wenn man unterschiedlich ist. Ich schätze es zum Beispiel sehr, dass mein Bruder anders ist als ich. Wir müssen nicht alle gleich sein, um gut miteinander leben zu können. Wir sind offen, Neues zu lernen und das würden wir uns auch von denen wünschen, für die wir hier in Deutschland noch fremd sind.
ANGEKOMMEN?
Name: Mohammad
Alter: 40 Jahre
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: Oktober 2015
Studium: Universität von Aleppo/Syrien: Arabische Sprache und Literatur
Aktueller Beruf: Schulsozialarbeiter
Datum: 28.August 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat bedeutet für mich nicht der Ort, an dem ich geboren bin, sondern der Ort, an dem ich mit meiner Familie ohne Angst leben und arbeiten kann.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Ja, den gab es. Das war im Dezember 2015 als ich ganz neu in Kaltenkirchen war und in die Tennishalle eingezogen war. Dort traf ich Sylvia. Sie hat mich mit offenen Armen und ihrem großen Herzen empfangen.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, Sylvia. Von ihr habe ich erfahren
- Als Mensch wahrgenommen zu werden, für jemanden von Interesse zu sein
- Hilfe in wichtigen gesundheitlichen Fragen
- Deutschunterricht
- Informationen über das Leben in Deutschland
- Begleitung zu Behörden
- Emotionale Unterstützung in schwierigen persönlichen Situationen
- Wohnungssuche
- Familienzusammenführung
- Bewerbungen schreiben und Vorbereitung und Begleitung zu Vorstellungsgesprächen
- Kontinuierliche Ansprechpartnerin in allen wichtigen Fragen des Lebens bis heute
Was habe ich gegeben
- Freundschaft zu einem syrischen Mann
- Die Erfahrung, dass es eine beglückende Aufgabe ist, geflüchteten Menschen zu helfen, für jemanden wichtig zu sein.
- Die Beruhigung, in jeder Situation auf einen zuverlässigen arabischen Mann zurückgreifen zu können.
- Ich habe Sylvia ermöglicht, an meinen Lebensereignissen (Spracherwerb, Arbeit, Wohnen, Familienzusammenführung) teilzunehmen und sie versichert mir, wie glücklich sie das macht. Das macht auch mich glücklich.
- Wenn es jemals die Möglichkeit gibt, dass ich gefahrenlos nach Syrien reisen kann, dann zeige ich Sylvia und ihrem Mann die Schönheit meiner alten Heimat.
Es ist eine gegenseitige Bereicherung.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Von Seiten des geflüchteten Menschen braucht es Respekt für das neue Land und die Menschen. Er muss sich bewusst für die neue Zukunft entscheiden, die Sprache lernen, offen auf die Menschen zugehen und bereit sein, einmal Gelerntes in Frage zu stellen.
Von Seiten des Landes sollten viele Möglichkeiten zur Integration angeboten werden. Behörden, Institutionen, Firmeninhaber und Privatpersonen sollten bereit sein, die geflüchteten Menschen willkommen zu heißen und Verständnis dafür zu haben, dass eine Veränderung Zeit braucht und manchmal nicht möglich ist. Gegenseitiges Zuhören und Geduld von allen Seiten ist notwendig. Es braucht auch das Wissen, dass es leicht zu Missverständnissen kommen kann, weil vieles nicht sofort verstanden wird.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, ich habe das Gefühl, mich in die deutsche Gesellschaft einbringen zu können.
Ich bringe neue Ideen, eine neue Kultur und kann als Vermittler zwischen den Kulturen sehr viel Gutes bewirken.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Typisch deutsch an mir ist jetzt: ich habe eine neue Art und Weise gefunden, auf Menschen zuzugehen. Da gibt es einen großen Unterschied des miteinander Umgehens. In Deutschland z.B. braucht man bei den Menschen für einen Besuch einen Termin. In Syrien klopft man an und sagt: Wir sind da.
Am Ende steht die Erkenntnis, dass wir alle Menschen sind mit Gefühlen wie z.B. Freude, Trauer und Schmerz.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ich bin angekommen. Für mich bedeutet es, dass ich hier leben darf, dass ich anerkannt und wertgeschätzt bin, die Sprache spreche und mit anderen Menschen Kontakt habe, dass ich arbeiten kann und mein eigenes Geld verdiene, dass ich eine Wohnung und Freunde, auch deutsche Freunde, habe und meine Zukunft in Sicherheit planen kann. Mehr fehlt nichts, ich habe jetzt alles, was ich mir gewünscht habe, das ist mehr als ich brauche.
ANGEKOMMEN?
Name: Nedal
Alter: 30
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 15.08.2015
Erlernter Beruf/ Studium: Küchenmonteur
Aktueller Beruf: Küchenmonteur
Datum: 28.August 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist für mich meine Kindheit, mein altes Leben, wo ich aufgewachsen bin.
Heimat ist wichtig. Jetzt ist es dort, wo man aktuell lebt und wo man sich angekommen fühlt. Und es bleibt mir nur die Erinnerung.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Ja, weil die deutschen Menschen so freundlich sind. Und es gibt alles, was ich brauche, um ein gutes Leben zu leben.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Nein, es gab keine bestimmte Person, aber viele Leute, waren zu uns freundlich und hilfsbereit.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Am Anfang ist es schwer, weil es etwas anderes ist. Aber wenn man sich daran gewöhnen kann, dann wird es einfacher.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, ich werde geben, was ich geben kann. Also hier haben uns die Leute geholfen und viele gute Sachen getan. Ich werde auch etwas Gutes tun, wenn ich das kann.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Ich merke nicht so viele Unterschiede zwischen unserer Kultur und der deutschen Kultur. Also die Hauptsache ist, dass wir uns verstehen. Jeder kann seine Kultur leben, wie er will, wenn er Respekt für die andere Kultur hat.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja, ich fühle mich angekommen, seitdem ich angefangen habe, etwas Deutsch zu sprechen, zu arbeiten und seit ich meine Kinder zur Schule bringen darf.
ANGEKOMMEN?
Name: Nerooz
Alter: 35
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 17.Dezember 2014
Erlernter Beruf/ Studium: Abitur, Grundschulhilfe (privat)
Aktueller Beruf: Angestellte im Partyservice
Datum: 11.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Früher war Heimat meine „Base“, wie meine Mutter, Frieden. Wir hatten ein tolles Leben, Syrien war ein gutes Land.
Heute fühle ich mich wie ein Kind, das seine Mama verloren hat.
Ich bin seit sieben Jahren in Deutschland und versuche mich zu integrieren. Die kurdische und deutsche Kultur sind ähnlich, wir sind alle sehr open-minded. Am Anfang war alles in Deutschland fremd, doch es war wichtig, dass wir für unsere Kinder weggegangen sind. Ich habe viel verdrängt, doch manchmal kommen die Erinnerungen zurück. Wie die Angst im Gesicht meiner kleinen Tochter, als eine Bombe auf unserer Straße fiel. Da wusste ich, dass wir nicht in Syrien bleiben können.
Ob Deutschland meine Heimat ist? Manchmal ja, manchmal nein. Ich kann hier eine neue Heimat für meine Kinder aufbauen, aber ich vermisse auch meine alte Heimat, die es so seit dem Krieg nicht mehr gibt.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Ein ganz kleiner Moment war für mich sehr schön: ich war an der Tür, um die Kinder zur Schule zu schicken und Susanna hat mich gefragt, ob ich Eier im Haus habe, Ich habe mich so gefreut! Das war wie zuhause. Ganz selbstverständlich haben wir auch da uns gegenseitig in der Nachbarschaft ausgeholfen. Und nun hatte ich dieses Gefühl hier. Ich war so glücklich.
Seitdem teilen wir Essen. Ich kenne es nicht anders. Wenn ich koche, teile ich gerne mit meinen Freunden und Nachbarn. Und wenn wir mal länger nicht gesprochen haben, dann verabreden wir uns zum gemeinsamen Essen.
Unsere Vermieter Susanna und Daniel und ihre Söhne sind von Anfang an wie unsere Familie. Eine Woche, nachdem wir eingezogen waren, haben sie uns zum Essen zu sich eingeladen. Zu dem Essen haben sie auch eine syrische Frau eingeladen, die als Übersetzerin dabei war. Das war eine gute Idee. Sie wollten uns zeigen, dass wir hier willkommen sind. Susanna und Daniel wollten ganz bewusst die Wohnung in ihrem Haus an eine Familie vermieten. Seit sieben Jahren haben sie sich nicht einmal gesagt, dass es ihnen mit unseren drei Kindern zu laut ist, so wie ich es von anderen Bekannten in Deutschland gehört habe. So ist es mit Familie.
Von Anfang an sind wir auch immer in der Kirche gewesen und die Menschen dort sind gleich auf uns zugekommen und haben mit uns gesprochen. Das Gefühl war sehr schön und warm, das werde ich nie vergessen.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, meine Flüchtlingsbegleiter Mr. Johannes und Sabine. Ich sage immer, der Gott hat mir zwei Engel geschickt. Heute sind sie nicht mehr wie unsere Begleiter, heute sind sie wie Mama und Papa. Sie sind immer für mich, meinen Mann und meine Kinder da, egal, ob wir traurig waren, Stress hatten, glücklich sind. Egal, sie sind für uns da, immer, immer, immer. Wir sprechen jeden Tag, wir haben eine sehr enge Beziehung, wir sprechen über alles. Sie teilen ihre Liebe mit uns. Sabine hat uns auf einem Familienfest ihren Freunden und Verwandten vorgestellt, als zwei Kinder, die der liebe Gott ihr, zu ihren eigenen drei Kindern, aus Syrien geschickt hat.
Seit Mr. Johannes seine Frau vor drei Jahren verloren hat, sind wir seine Familie für ihn geworden.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Wenn ich in einem anderen Land bin, muss ich als erstes die Sprache lernen. Wenn ich die Sprache des Landes spreche, dann heißt das, ich bin hier.
Und Geduld ist wichtig. Ich muss Geduld mit mir haben, dass ich es schaffen kann. Es muss nicht sofort klappen, aber ich mache immer weiter. Kontakte sind auch wichtig. Ich habe unglaublich viel Kontakt mit Deutschen, nicht nur privat, sondern auch in den Behörden.
Die ehrenamtliche Unterstützung von Johannes und Sabine, die uns mit allem geholfen haben, war sehr besonders. Uns ging es nicht gut, wir konnten die Sprache noch nicht, kannten uns nicht mit der neuen Kultur aus und trotzdem mussten viele Papiere ausgefüllt werden. In Deutschland gibt es viele hilfsbereite Menschen, die noch Erinnerungen an den zweiten Weltkriege haben und nun uns helfen, hier ankommen zu können.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ich arbeite, mein Mann arbeitet. Wir haben viel bekommen und nun können wir uns selbstständig um unsere Familie kümmern.
Außerdem arbeite ich gemeinsam mit meiner Tochter ehrenamtlich als Helferin beim Kinderturnen und manchmal auch als Übersetzerin. Ich helfe ehrenamtlich in der Kirche bei vielen verschiedenen Veranstaltungen.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Meine Kinder sprechen fast nur noch Deutsch und verlieren leider immer mehr meine Muttersprache. Für sie ist fast alles Deutsch: Schule, Freunde, …
Ich mag das Deutsche Essen sehr gern. Zum Beispiel Grünkohl mit Kartoffeln ist besonders lecker. Ich arbeite bei einem Partyservice. Wenn Essen übrig ist, darf ich es mit nach Hause nehmen. So haben wir schon viele verschiedene deutsche Gerichte kennen und lieben gelernt.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja, natürlich. Ich freue mich sehr, ich bin da. Deutschland ist für mich wie ein großer, großer Berg, den ich zu erklimmen versuche. Manchmal rutsche ich auch ein Stück ab, aber ich klettere weiter.
Ich habe hier etwas für mich selber aufgebaut, das möchte ich nicht kaputt machen. In den letzten sieben Jahren war kein Tag, der einfach war.
ANGEKOMMEN?
Name: Nizar
Alter: 45
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2015
Erlernter Beruf/ Studium: Geschichtsstudium mit Masterabschluss
Beruf in Syrien: Mitarbeiter im Ministerium und Schwimmtrainer der syrischen Nationalmannschaft
Aktueller Beruf: Sporttrainer und Sozialbetreuer
Datum: 1.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Ein Ort, wo ich leben, arbeiten kann, wo ich sicher bin und ein warmes Gefühl habe.
Heimat ist nicht unbedingt dort, wo ich geboren bin. Für mich ist jetzt Deutschland meine Heimat.
In Syrien hieß ich als Kind „der Deutsche“, weil ich mich sehr für das Land und seine Menschen interessiert habe. 1983 habe ich von einem Freund meines Vaters, einem Ingenieur aus der damaligen DDR, eine Kassette „Deutsch-Englisch“ geschenkt bekommen. So habe ich meine ersten Worte auf Deutsch gelernt. One - eins, two - zwei, …
Das Foto der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft von 1990 hängt noch immer in meinem alten Zimmer in Syrien. Auch wenn meine Eltern nicht mehr in dem Haus wohnen, weil es zur Hälfte von einer Bombe zerstört wurde und sie jetzt im Kindergarten leben. Ich kann mich an alle Namen der Fußballer erinnern und ich fand es besonders spannend, dass 1990, nach der deutschen Wiedervereinigung, die erste gesamt-deutsche Fußballmannschaft gespielt hat. Mathias Sammer zum Beispiel war vorher Spieler der DDR.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Als Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung Neumünster habe ich sehr schnell das Vertrauen der Polizei, des Landesamts und des DRKs geschenkt bekommen. Nach 20 Tagen in der Einrichtung durfte ich schon mitarbeiten und helfen. Die ersten drei Tage habe ich in der Kantine unter einem Tisch geschlafen, weil es nicht ausreichend Schlafplätze gab. Zu jeder Essenszeit wurde ich von den Sicherheitsleuten geweckt und weggeschickt. Dann konnte ich eine Matratze für fünf Euro einem Mann abkaufen, der die Unterkunft verlassen konnte. Ich habe dafür einen Platz vor den Waschräumen gefunden, wo es sehr unruhig war, aber ich habe erstmal 48 Stunden durchgeschlafen.
Überall waren so viele Menschen, es war so laut. Überall war Chaos. Alle riefen durcheinander. Jeder brauchte etwas anderes: Essen, medizinische Hilfe, einen Schlafplatz, … Ich dachte: „Ich muss etwas ändern!“ Ich habe laut in die Menge gerufen und den Menschen versucht klarzumachen, dass wir ruhig sein müssen, damit uns die Deutschen helfen können. Als sich die Situation beruhigt hatte, habe ich der positiv erstaunten DRK-Mitarbeiterin meine Hilfe auf Englisch angeboten. Und ab dann durfte ich sie unterstützen. Herausforderungen sehe ich als etwas Positives. Indem mir Verantwortung übertragen wurde, konnte ich mich schneller integrieren. Je mehr Verantwortung ich habe, desto mehr kann ich geben und leisten.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Es haben mir sehr viele Menschen geholfen, zum Beispiel Patrick und Jenny, aber auch ein Polizist, der mich zum Jobcenter begleitet hat. Alle sind für mich Freunde geworden. Sie haben es als selbstverständlich angesehen, mir zu helfen. Sie haben gesagt: "Wir sehen das als unsere Aufgabe." Und: "Du verdienst unsere Hilfe und du verdienst mehr."
Patrick ist mein bester Freund geworden und ich konnte ihm später sogar einen neuen Job besorgen.
Heute habe ich nur deutsche Freunde und ich frage sie immer noch nach ihren Erfahrungen. Jeder von ihnen bekommt von mir Ärger, wenn sie Hilfe brauchen und nicht Bescheid sagen.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Am wichtigsten ist die Sprache. Mindestens genauso wichtig ist es, vorsichtig zu sein und respektvoll zu beobachten. Mehr zuhören, weniger sprechen. Und Lernen! Beobachten und lernen. Und es hilft, einen kleinen Kreis von Vertrauten aufzubauen. Und einen Deutschen/Einheimischen, der einen an die Hand nimmt.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ich kann Erfahrungen, die ich bereits in Syrien gesammelt habe, weitergeben. Ganz besonders kann ich aber die Integration von neuen Flüchtlingen fördern und unterstützen. Wenn sie keine Hilfe finden, besteht die Möglichkeit, dass sie Mist machen, wie Drogen nehmen oder stehlen.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Typisch Deutsch ist, dass mich keiner bei meiner Mittagspause stören darf, denn ich habe immer wenig Zeit. Außerdem muss bei mir jeder pünktlich sein.
Typisch Syrisch: Ich kann schlechtes Verhalten nicht tolerieren. Ich finde, schlechtes Verhalten braucht eine Konsequenz.
Wenn ich mit einem Araber spreche, springen wir immer wieder ins Deutsche.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja! Ankommen heißt für mich, kämpfen, um einen Platz zu finden.
Deutschland ist meine neue Heimat - für mich und für meine Familie.
ANGEKOMMEN?
Name: Nour
Alter: 20 Jahre
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 1.5.2016
Aktueller Beruf: Studentin
Datum: 3.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist ein Ort, wo sich mein Herz wohlfühlt und wo ich andere Leute wie mich finde, so dass ich mich nicht verändern muss ...
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Dieser Schlüsselmoment war, als ich aufs Gymnasium gewechselt bin. Es war ein sommerlicher Tag, als ich das erste Mal meine neue Klasse betreten habe. Direkt nachdem mich die Lehrerin vorgestellt hat und den Raum verlassen hat, kamen alle Schüler der Klasse zu mir und wollten mit mir befreundet sein. Seitdem ich diese Leute kennengelernt habe, habe ich mich in Deutschland nie mehr fremd gefühlt. Die Klasse war für mich wie eine zweite Heimat!
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, mehrere!
Roswitha: Sie hat mich auf meinem Schulweg begleitet und mir dabei geholfen, aufs Gymnasium zu wechseln. Sie war die erste deutsche Person, die mich in Deutschland „empfangen“ hat und an mich geglaubt hat! Sie hat durch mich gelernt, dass Frauen mit Kopftuch sehr stark sind, aber leider ist sie gestorben.
Jonas: Er erinnert mich immer daran, dass meine Träume in Erfüllung gehen werden und dass ich alles schaffen kann. Ich glaube er hat von mir einiges über die syrische Kultur und den Islam gelernt.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Von Seiten der neuen Person: Verstehen, wie die Leute in dem neuen Land denken/ticken und das geht nur durch Dialoge! Dialoge entstehen wiederum, wenn beide die gleiche Sprache sprechen, deswegen ist das Lernen der Sprache sehr wichtig!
Von Seiten des Landes ist es wichtig, den Kontakt zwischen den Leuten zu ermöglichen.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, durch mein Engagement bei den Grünen, UNICEF und anderen kleinen gesellschaftlichen Gruppen!
An die deutsche Gesellschaft würde ich gerne mehr Offenheit und Aufklärung über andere „nicht weiße/nicht westliche“ Personen/Kulturen weitergeben.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Typisch deutsch: Pünktlichkeit, Brötchen essen, sparen
Typisch syrisch: Spontanität, Besuch herzlich empfangen, viel Geld für Essen ausgeben.
Überschneidung: Deutsch-Arabisch zuhause zu sprechen und deutsche Freunde zu mir einladen
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja, ich bin angekommen!
Angekommen zu sein ist für mich, problemlos oder mit wenigen Problemen etwas in diesem Land zu schaffen und immer voran zu kommen. Aber auch mit vielen Leuten befreundet zu sein oder von vielen „gemocht“ zu werden.
ANGEKOMMEN?
Name: Ranim
Alter: 23
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: 2015
Aktueller Beruf: Auszubildende als PTA (Pharmazeutisch-technische Assistentin)
Datum: 12.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist für mich ein Ort der Sicherheit und ein Ort, an dem man schöne Erinnerungen hat. Meine Heimat in Syrien ist für mich jetzt nur noch wie ein Stück Erde, an das ich schöne, aber auch schlechte Erinnerung wegen des Krieges habe. Die Menschen aus meiner Heimat bleiben für immer in meinem Herz, aber leider sind auch einige von ihnen schon unter der Erde. Syrien ist das Land, wo ich geboren worden bin und es sollte eigentlich meine Heimat sein. Aber heute ist es nur noch eine schmerzhafte Erinnerung für mich. Meine Zukunft ist jetzt in Deutschland.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Ja, als ich erkannt habe, dass Deutschland ein sicheres Land ist, welches meine Rechte schützt und in dem ich meine Träume und meine Zukunft verwirklichen kann. Als ich anfing Deutsch zu lernen, habe ich gemerkt, dass ich dadurch viele Möglichkeiten bekomme, mir eine gute Zukunft zu sichern. Ich habe mich entschieden, eine Ausbildung als Pharmazeutisch-technische Assistentin zu beginnen und bin sehr froh über meine Entscheidung.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, durch meine Ausbildung habe ich in meiner Klasse einen sehr lieben Menschen kennengelernt und sie ist nun meine beste Freundin geworden. Wir lernen voneinander und verbringen viel Zeit zusammen.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Deutschland ist ein zivilisiertes und demokratisches Land, in dem es viele Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven gibt. Deutschland ist ein Sozialstaat. Das bedeutet, dass das Volk sich gegenseitig unterstützt. Um in Deutschland Fuß zu fassen ist es sehr wichtig, die Sprache zu lernen und sich Mühe zu geben, sich zu integrieren - in die Gesellschaft und in das System. Es wäre schön, wenn die Menschen in Deutschland noch toleranter wären und weltoffener. Leider gibt es viele Menschen die noch Vorurteile gegenüber uns Arabern und Muslimen haben. Dadurch fühlt man sich manchmal nicht ernst genommen von den anderen Menschen.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, ich denke, dass ich mich bisher gut integriert habe und durch meine Ausbildung kann ich in Zukunft in Deutschland auch meinen Teil für das Sozialsystem leisten. Außerdem gefällt mir in meiner Ausbildung, dass ich Menschen bei gesundheitlichen Problemen weiterhelfen kann. Mein Ziel ist es, durch mein Engagement den Menschen ein anderes Bild von uns Arabern und Muslimen zu geben. Die Menschen sollen sehen, dass nicht alles Negative aus den Medien, was über uns berichtet wird, wahr ist. Außerdem freue ich mich, wenn die Deutschen unsere köstlichen arabischen Gerichte probieren, die wir immer mit viel Liebe kochen.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch? Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Als typisch deutsch empfinde ich die strenge Zeiteinteilung und die Bürokratie. Ich finde, dass die deutsche und syrische Kultur sehr gegensätzlich ist. Zum Beispiel sind wir Syrer sehr spontan mit Verabredungen und Terminen, aber viele Deutsche planen alles genau im Voraus.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja ich fühle mich in Deutschland angekommen, da ich meine Familie und Freunde hier habe, die schwierige Sprache gelernt und eine tolle Ausbildung gefunden habe.
ANGEKOMMEN?
Name: Tarek
Alter: 27
In Deutschland/Schleswig-Holstein seit: Juni 2014
Erlernter Beruf/Studium: Politik- & Islamwissenschaften
Aktueller Beruf: Student & Politiker
Datum: 17.September 2021
1.Was bedeutet für Dich Heimat?
Heimat ist für mich eine Gesellschaft, mit der ich die gleichen Werte teile. Egal ob das im Süden, im Norden, auf einer Insel, in Deutschland, in Afrika, egal auf welchem Kontinent ist, Hauptsache ist, dass die Werte zwischen den Menschen stimmen. Das ist Heimat für mich.
2.Gab es für Dich einen Schlüsselmoment, an dem Du in Deutschland das erste Mal gespürt hast, dass dieses Land Deine zweite Heimat werden kann? Wenn ja, bitte beschreibe diesen Moment.
Der Schlüsselmoment war für mich die Umarmung von Torsten Albig am 27. Januar 2015.
Ich war relativ neu in Deutschland. In Kiel gab es eine große Demonstration gegen Pegida. Zehntausend Menschen sind damals auf die Straßen gegangen. Torsten Albig war Ministerpräsident von Schleswig- Holstein und ich stand in der ersten Reihe, während er eine Rede gehalten hat. Als er von der Bühne gekommen ist, hat ihm jemand auf die Schulter geklopft und mich ihm vorgestellt. Er hat mich spontan umarmt und zwar richtig, richtig fest, so dass ich es noch heute spüren kann. Dann hat er zu mir gesagt: „Hab Vertrauen, es wird alles gut.“ Torsten Albig stand für mich in diesem Moment symbolisch für das Land Schleswig-Holstein. Ich hatte das Gefühl, ganz Schleswig-Holstein hat mich umarmt und mir ein Zuhause gegeben. Zum ersten Mal habe ich gedacht, dass ich angekommen bin. Ich hatte damals noch keine Aufenthaltserlaubnis, aber ich hatte das Gefühl, dass die Gesellschaft stimmt, dass die Menschen offen sind. Das war für mich der Schlüsselmoment.
3.Gab es für Dich eine bis dahin unbekannte Person, die Dich bei Deinen ersten Schritten in Deutschland vertrauensvoll begleitet hat? Was hast Du durch diese Person erfahren? Und was meinst Du hat diese Person durch Dich lernen können?
Ja, Petra Paulsen, die damalige Bürgermeisterin von Felde, und ihre Familie.
Ich komme aus einer Kultur, in der mir mein Vater immer gesagt hat, was als nächstes kommt. So war ich programmiert. Ich bin damit aufgewachsen, dass mir jemand sagt, was zu tun ist.
Ich hatte am Anfang viele ehrenamtliche Helfer*innen, aber Petra hatte eine besonders starke Persönlichkeit, die ich mir gewünscht habe, damit sie mich unterstützen konnte und mir sagen konnte, was zu tun ist. Denn mit der Freiheit, dass ich alles machen darf, was mein Leben betrifft, konnte ich am Anfang nicht umgehen. Petra hat mir erklärt, was wichtig ist. Das war für meine ersten Schritte sehr wichtig. Ich musste ihr und ihrer Familie dafür sehr vertrauen, aber ich habe das gebraucht. Danach musste ich den Weg alleine gehen.
Petra hat von mir viel über die syrische Kultur gelernt. Am Anfang war sie sehr hart mit ihrer Meinung, wenn etwas schiefgelaufen ist. Zum Beispiel kam es zu Missverständnissen, wie man das Besteck am Esstisch nach dem Essen hinlegt, um zu zeigen, dass man fertig ist. Es sind Kleinigkeiten, aber man sollte sie lernen.
Von meiner Seite musste ich lernen zu signalisieren, dass ich in einer Kultur aufgewachsen bin, in der man Probleme nicht direkt anspricht, sondern durch Zeichen wie z.B. Körpersprache signalisiert. In der Form, wie hier Probleme direkt angesprochen werden, hatte ich am Anfang das Gefühl, persönlich angegriffen zu werden. Aber darüber muss man reden. Petra hat durch mich gelernt, dass man die Themen auch langsamer angehen kann. Wir haben uns beide angepasst und einen Mittelweg gefunden, indem Petra etwas emotionaler geworden ist und ich etwas pragmatischer.
Ich muss aber auch sagen, nach sieben Jahren in Deutschland bin ich jetzt auch jemand, der Probleme direkt anspricht. Denn das Signalisieren der Probleme dauert einfach ewig und man nimmt viele Emotionen mit, die einen fertig machen.
4.Was ist Deiner Meinung nach notwendig, um in einem fremden Land Fuß fassen zu können? Sowohl von Seiten des Landes, als auch von Seiten neuer Bewohner:innen?
Es ist zu unterscheiden, ob man freiwillig in ein anderes Land geht oder ob man gezwungen ist. Wenn man freiwillig in ein Land geht, um dort z.B. zu arbeiten, dann weiß man schon vorher, was einen ungefähr erwartet, weil man sich vorab informiert und die Grundzüge der Sprache lernt.
Wenn man gezwungen ist, hier zu sein, ohne das Land zu kennen, dann steht man unter Leistungsdruck, alles in kurzer Zeit zu schaffen. Meine Erfahrung ist, dass es eine Person braucht, die einen ehrenamtlich, nicht hauptamtlich, mit Leidenschaft begleitet. Eine Person, mit der man eine gute, vertrauensvolle Freundschaft aufbauen kann, ist viel wert. Es ist wichtig einen engen Kontakt zu haben. Petra hat das richtig gut gemacht, sie hat sich so intensiv um mich gekümmert, dass ich hier auch kulturell richtig gut angekommen bin.
Der Staat hat die Aufgabe, die Infrastruktur zu organisieren, wie Mitarbeiter und Unterkünfte.
Die tatsächliche Arbeit ist aber eine gesellschaftliche Aufgabe. Das kann der Staat nicht organisieren. Wir brauchen nicht für alles Gesetze, sondern wir alle müssen über alles miteinander reden.
5.Hast Du das Gefühl, Dich in der deutschen Gesellschaft einbringen zu können? Was kannst Du oder würdest Du gerne an die deutsche Gesellschaft weitergeben?
Ja, in meiner politischen Arbeit. Mir ist es wichtig, dass wir alle gut zusammen leben und die Willkommenskultur wieder so stark wird wie 2015. Leider ist die immer schlechter geworden, je mehr darüber gesprochen wurde. Jetzt in Zeiten von Corona, wo ganz andere Themen wichtig sind, kann die Integrationsarbeit in Ruhe gepflegt und eine Vertrauensbasis in der Gesellschaft geschaffen werden. Die Menschen, die seit einigen Jahren hier sind, dürfen nun auch langsam eingebürgert werden. Das ist ihre Heimat geworden, ob wir das wollen oder nicht. Diese Menschen muss man ansprechen und mit ins Boot holen, sie müssen Teil des Diskurses, Teil der Gesellschaft sein. Durch Angebote müssen wir sie zu uns holen und nicht durch Gesetze verschrecken, so dass sie sich in eine Parallelgesellschaft zurückziehen. Die Themen Migration und Integration sind den politischen Parteien leider nicht so wichtig, weil man mit diesen Themen keine Wahl gewinnt. Hier ist die Aufgabe, die Situation so anzunehmen, wie sie ist.
6.Was in Deinem Alltag empfindest Du heute als typisch Deutsch bzw. typisch Syrisch?
Und an welchen Stellen überschneiden sich die beiden Kulturen in Deinem Alltag?
Tatsächlich koche ich sehr gerne syrisch, auch um meiner deutschen Verlobten die syrische Kultur näher zu bringen. Ich nehme sie gerne mit auf die Reise, ihr mein Land vorzustellen.
Aber das Kochen ist auch das einzig Syrische, was bei mir geblieben ist.
Ich kann mich nicht als Deutsch bezeichnen. Ich habe die syrische Kultur mitgebracht und hier die deutsche Kultur kennengelernt. Heute lebe ich das Beste aus beiden Kulturen. Welchen Pass ich dabei besitze, spielt keine Rolle.
Natürlich gibt einem der deutsche Pass ein Gefühl von Sicherheit und Freiheit. Egal wo man ist, hat man das Gefühl, eine starke Regierung hinter sich zu haben, die sich dafür einsetzt, dass es einem gut geht, auch wenn man im Ausland ist. Mit dem syrischen Pass hat man das nicht. Aber man sollte nie alleine stolz darauf sein, dass man ein Dokument in der Hand hält. Am wichtigsten bleibt, dass man ein Mensch ist und dass es darum geht, wie es mit der restlichen Gesellschaft klappt.
Daher kann ich überhaupt nicht sagen, ob ich Syrer oder Deutscher bin. Es spielt eh keine Rolle.
7.Fühlst Du Dich in Deutschland angekommen? Wenn ja, was bedeutet für Dich angekommen zu sein? Wenn nein, was fehlt Dir, um Dich angekommen zu fühlen?
Ja. Ich verstehe die Kultur, so dass ich das System in der Form mitgestalten kann, dass es nicht nur mir, sondern auch den anderen gut geht.
Angekommen bin ich wirklich, als ich die Möglichkeit hatte, die Situation der anderen zu verbessern. Man kann sagen, man ist angekommen, wenn man als Flüchtling anerkannt ist. Man kann auch sagen, dass man angekommen ist, wenn man den deutschen Pass hat. Das Gefühl angekommen zu sein hatte ich erst in diesem Jahr im April, als ich in den Landesvorstand der SPD Schleswig-Holstein gewählt worden bin. Das ist eine Art von politischer Macht, die ich dafür nutzen möchte, dass es den Menschen gut geht. Ich glaube, das ist mein Gefühl von Ankommen.